Doppelinterview mit Dr. Irene Seling, Hauptgeschäftsführerin der AGDW-Die Waldeigentümer, und Gesa Müller-Schulz, Co-Gründerin und Co-Geschäftsführerin der Plattform „Deutschland Forstet auf“, über die Unterstützung der Waldbesitzenden in der aktuellen Krise

Seit wann gibt es die Plattform „Deutschland Forstet Auf“? Und welche Motivation hatten Sie, diese Plattform zu initiieren?

Gesa Müller-Schulz: Im Gründungsteam hatten wir lange darüber gesprochen, was im Kampf gegen Klimakrise und das Waldsterben in Deutschland alles gemacht werden kann. Schließlich bringt es aber nichts, sich immer nur zu unterhalten. Wir wollten ins Machen kommen, hier und vor Ort. Da wir selbst aber keine Försterinnen und Förster sind, sind wir schließlich auf eben diese zugegangen, haben erläutert, welche Fähigkeiten wir haben, und was wir leisten können. Und wir haben gefragt, wie wir damit ganz konkret helfen und unterstützen können.  Daraus ist dann die Idee der Plattform entstanden, deren Ziel es ist Menschen, miteinander zu verbinden, die etwas für den Wald und gegen die Klimakrise tun wollen.

Wir haben die Gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) „Deutschland Forstet Auf“ notariell im November 2019 gegründet. Im Januar 2020 ist die Seite www.deutschland-forstet-auf.de mit der dazugehörigen Plattform online gegangen.

Deutschland forstet auf“ ist eine Plattform, die sich für die Wiederbewaldung und Aufforstung einsetzt. Welche Ziele verfolgt die Plattform, und an wen richtet sie sich?

Gesa Müller-Schulz: Unser Ziel ist, dass unbürokratische und schnelle Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird. In finanzieller Hinsicht, aber auch in Form von Men- oder Women-Power. Seit Beginn vernetzen wir Forstleute und Waldbesitzende mit freiwilligen Helferinnen und Helfern aus dem ganzen Land. Seit einigen Monaten helfen wir auch Menschen aus dem Agrarsektor, die gerne auf regenerative Landwirtschaft umstellen wollen. Wir vernetzen sie mit Unternehmen, die sich regional und nachhaltig engagieren wollen. Als gUG können wir Spenden annehmen und weitergeben.

Warum ist die Plattform „Deutschland Forstet Auf“ für Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer interessant?

Dr. Irene Seling: Für dieses tolle und ehrenamtliche Engagement möchte ich mich bei den Gründerinnen und Gründern dieser Plattform ganz herzlich bedanken. Angesichts der massiven Schäden in den Wäldern seit dem ersten Dürresommer 2018 haben die Waldbesitzenden damit Unterstützung von freiwilligen Helferinnen und Helfern bei der Wiederbewaldung zerstörter Flächen erhalten. Darüber hinaus konnten sie  mit diesen Pflanzaktionen interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Waldarbeit näher bringen. Es kann anschaulich vermittelt werden, wie Aufforstungen zur Gestaltung klimaresilienter Mischwälder beitragen. Außerdem kann die Geschichte des Waldes in der jeweiligen Region erklärt werden. Damit war die Gründung dieser Plattform eine wirklich hilfreiche Initiative.

Wie wurde die Plattform bislang angenommen? Und welche Motivation haben die vielen Freiwilligen, die sich an Pflanzaktionen der Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer beteiligen?

Gesa Müller-Schulz: Die Plattform ging einige Wochen vor dem ersten Lockdown an den Start. Ungefähr einen Monat nach dem Start standen ca. 40 Aktionstage aus ganz Deutschland auf der Plattform und viele davon waren ausgebucht. Sowohl von Seiten der Forstleute und Waldbesitzenden als auch von Seiten der Freiwilligen wurde die Plattform sehr gut angenommen. An den drei Wochenenden vor dem ersten Lockdown wurden dann schließlich um die 35.000 Setzlinge aufgrund dieser Plattform gepflanzt. Mehrere hundert Menschen kamen zusammen. Während der darauffolgenden Pflanzsaisons in den Jahren 2020 und 2021 fanden weiterhin Veranstaltungen statt, allerdings kleine bzw. kleinere und alle mit Genehmigung der jeweils örtlichen Gesundheitsbehörden. Langsam geht es wieder richtig los.

Die Motivation ist genau die: Wie können wir helfen, und was befinden die Expertinnen und Experten vor Ort als wirkungsvoll im Sinne des Wald-, Klima- und Umweltschutzes. Wichtig ist die Frage, wie es den Akteurinnen und Akteuren vor Ort hilft, weiterhin wirtschaftlich zu arbeiten. Nur so können wir ganzheitlich helfen.

Wie geht es den Waldbesitzenden in Deutschland, wie würden Sie ihre derzeitige Situation beschreiben?

Dr. Irene Seling: Die vergangenen Jahre haben die Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer vor große Herausforderungen gestellt. Die Schadflächen, die durch Dürre, Borkenkäferbefall oder Stürme entstanden sind, belaufen sich auf über 380.000 Hektar seit dem Jahr 2018. Die neue Waldzustandserhebung 2021 des Thünen-Instituts zeigt nach wie vor ein krisenhaftes Bild in unseren Wäldern. In den kommenden Jahren müssen diese Flächen wieder aufgeforstet und der Waldumbau vorangetrieben werden. Klar ist auch, dass die Waldbesitzenden für diese Mammutaufgabe die nötige finanzielle Unterstützung benötigen.  Unsere Wälder mit ihren vielfältigen Leistungen sind ein entscheidender Faktor als Klimaschützer, Sauerstoffproduzent und Wasserfilter, als Holzproduzent, Erholungsort und Lebensraum für vielfältige Tier- und Pflanzenarten.

Wie kann der langfristige Erfolg dieser Pflanzaktionen gesichert werden?

Dr. Irene Seling: Nach den Extremwetterereignissen der vergangenen Jahre kämpfen die Waldbesitzenden in Deutschland darum, den Wald für zukünftige Generationen sichern zu können. Dies kann nur mit einer aktiven und nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder gelingen. Der Aufwand, der für Wiederaufforstung und Waldumbau betrieben werden muss, fordert Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer im außergewöhnlichen Maße. Mit dem Holzverkauf alleine können Sie diese Herausforderungen nicht stemmen. Damit dürfen sie nicht allein gelassen werden. Daher bedarf es langfristiger Finanzierungsmodelle.  Eine zentrale Maßnahme wäre die Honorierung der Klimaschutzleistung des Waldes, die bislang kostenfrei erbracht wird. Schließlich ist der Wald in Deutschland mit seiner Speicherfunktion von Rund 127 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr Teil der Lösung beim Klimaschutz.

Wie werden Waldbesitzende bei der Organisation von Pflanzaktionen unterstützt?

Gesa Müller-Schulz: Auf unserer Seite gibt es einen Reiter für Waldbesitzende. Hier können sie sich einloggen und einem strukturierten Pfad folgen mit konkreten Fragen zu ihrer Waldaktion. Alle Aktionen im Wald, die der Entwicklung eines gesunden Waldstücks helfen, sind erlaubt. Zu Beginn nehmen wir telefonisch Kontakt zu den Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer auf, um die Motivation zur Teilnahme zu verstehen. Alle folgenden Aktionen können dann jederzeit von den Waldbesitzenden eingestellt werden. Es soll ihnen so ein Großteil der Organisation abgenommen werden. Zudem kümmern wir uns in Absprache mit den jeweiligen Veranstalterinnen und Veranstaltern noch um die mediale Verbreitung, etwa über eine (gemeinsame) Pressemitteilung an die jeweiligen regionalen Zeitungen bis hin zur Bespielung der bekannten sozialen Medien.

Warum braucht es genau solche Plattformen wie „Deutschland Forstet auf“, um die Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer zu unterstützen? Wie können die Waldbesitzenden profitieren?

Dr. Irene Seling: Für die Wiederaufforstung und den Waldumbau werden in den kommenden Jahren dringend zusätzliche finanzielle Mittel und gut ausgebildetes Fachpersonal benötigt. Darüber hinaus muss bei der Bewältigung der Krise in den Wäldern auch ein Schwerpunkt auf die Kommunikation in die Gesellschaft gelegt werden. Die Menschen wollen wissen, was in den Wäldern geschieht, hier gibt es viel Erklärungsbedarf. Plattformen wie diese bieten dabei willkommene Gelegenheiten, Interessierten die Situation im Wald zu erläutern. Die Waldbesitzenden können ihre Botschaften vermitteln und Verständnis wecken für die Situation in ihrem Wald und für ihre Handlungsmotive.

Die Wiederbewaldung der Schadflächen bedeutet für die Waldbesitzenden auch zusätzliche Kosten. Insbesondere für den Schutz junger Bäume mit Zäunen oder Schutzhüllen aber auch für das benötigte Fachpersonal und Organisation, die größere Pflanzaktionen beanspruchen. Was sagen sie zum Kostenaspekt?

Dr. Irene Seling: Plattformen wie ‚Deutschland forstet auf‘ bieten eine Ergänzung zu bisherigen Aufforstungs- und Waldumbaumaßnahmen. Denn für die Wiederaufforstung der Schadflächen aus den Jahren 2018 bis 2021 werden zusätzliche finanzielle Mittel benötigt. Das Thünen-Institut geht davon aus, dass für den klimastabilen Waldumbau in den nächsten 30 Jahren ein Kapitalbedarf zwischen 14 und 43 Milliarden Euro benötigt wird. Das wäre ein Bedarf zwischen 466 Millionen und 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Ein großer Kostenfaktor sind dabei die Sach- und Personalkosten. Diese werden in den kommenden Jahren steigen, da die stetig zunehmenden Kulturflächen über Jahre gepflegt werden müssen. Gleichzeitig ergeben sich höhere Kosten für Pflanzen und Dienstleistungen. Ein Blick in den Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung zeigt, dass für die Zeitspanne von 2022 bis 2026 900 Millionen Euro für die Entwicklung klimafester Wälder vorgesehen ist. Das sind 180 Millionen Euro pro Jahr. Es werden in Zukunft somit zusätzliche finanzielle Hilfen des Bundes und der Länder benötigt, um das Ziel gesunder, klimaresilienter Mischwälder erreichen zu können.

Insbesondere die Pflege junger Bestände ist zeit- und kostenintensiv. Werden langfristige Partnerschaften zwischen Waldbesitzenden und Bürgerinnen und Bürgern und auch Unternehmen angestrebt, um diese nachfolgenden Kosten zu decken? Die Umsetzung der fachgerechten Pflege ist oftmals nur mit entsprechend geschultem und eingearbeiteten Personal möglich.

Gesa Müller-Schulz: Von einem Förster wurden auf der Plattform bereits mehrere Pflegeaktionen angeboten, die sehr gut besucht waren. Natürlich muss hier im Vorhinein alles gut erklärt werden. Die Rückmeldungen, die wir von dem Förster erhalten haben, waren jedoch sehr positiv.

Wir bieten zudem allen Unternehmen, die sich bei uns melden und regional unterstützen wollen, langfristige Kooperationen mit Forstleuten, Waldbesitzenden und Landwirt:innen an. Natürlich nur, wenn wir vor Ort Partnerinnen und Partner haben, die dies auch wollen und sich über diese Unterstützung freuen. Nur so kann eine nachhaltige Gestaltung des Waldes erfolgen. Uns ist wichtig, dass unsere Partner-Unternehmen nicht an Greenwashing interessiert sind. Mit uns kann es kein Greenwashing gehen, denn dadurch, dass wir vor Ort und im Hier und Jetzt pflanzen, sieht man eben auch „vor Ort und morgen“, ob wirklich gepflanzt wurde und auch gepflegt wird.

 Gibt es ein Ziel, wie viele Bäume sie über die Plattform im Jahr 2022 pflanzen wollen und wie viele Waldbesitzende und Interessierte die Plattform in diesem Zeitraum nutzen sollen?

Gesa Müller-Schulz: Nein. Wir wollen weg vom Bäume zählen und hin zu erhaltenden Ökosystemen. Ein Wald ist mehr als ein Baum, ein Acker mehr als die Jahresernte. Wir haben wie gesagt die Zahlen auf unserer Seite, aber nicht für uns, sondern weil einfach gerne Zahlen genommen werden für Bilanzen etc. Das verstehen wir.

Frage an Frau Müller-Schulz: Was erhoffen Sie sich von den Waldbesitzenden in der Zukunft?

Gesa Müller-Schulz: Wir erhoffen uns, dass wir für die Zukunft neue Wege finden mit dem Wald Umsatz zu machen. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Konzepte. Ich freue mich, wenn wir dazu in den Austausch kommen.

Interview: Leon Nau

https://deutschland-forstet-auf.de/